Vortrag Reiner Dittrich, Kulturreferent der Stadt Wemding am 23.10.1993

Stets hat die Zeit den Menschen fasziniert und herausgefordert. Seinem Bemühen, die Welt zu ergründen, aber auch Unvergängliches zu schaffen, Kunstwerke hervorzubringen, war oft von der Zeit eine Grenze gesetzt, die zu überwinden er mit allen Mitteln seit Urzeiten bis zum heutigen Tag vergebens versucht.
Während man z.B. an gotischen Kathedralen jahrhundertelang baute, ohne danach zu fragen, wer letztlich das Werk vollenden würde, waren in den folgenden Epochen die Auftraggeber sehr daran interessiert, die Baukunst noch zu ihren Lebzeiten fertig zu sehen und in Betrieb zu nehmen. Der Künstler hatte die Aufgabe, Inhalt und Form in größtmöglicher Perfektion darzustellen, übersteigert durch zusätzliche Schmuckelemente. Alles war überaus kunstvoll, künstlich, auf atemberaubende Weise zergliedert, veräußerlicht, faszinierend in seinem Formenreichtum, märchenhaft realistisch.
Heute ist diese Formenvielfalt reduziert auf ein Mindestmaß, weil man nicht will, daß durch Äußerlichkeiten vom Wesentlichen abgelenkt wird. Die Wirklichkeit ist vielfach reflektiert, der Sinn ist nicht mehr augenfällig, der gedankliche Weg zum sichtbaren Ergebnis ist mindestens ebenso wichtig wie das Werk selbst. Das innere Auge soll erkennen.
Dazu kommt, wie hier, daß das Werk genau so ausgesetzt sein soll wie der Mensch seinem Schicksal ausgesetzt ist.
Zeit soll sichtbar werden, aber nicht so, wie wir es gewohnt sind: rotierende Zeiger, umspringende LCD-Ziffern, sondern: alle 10 Jahre ein Stein, unbeweglich, klotzig, trotzend, stumm, hart, überdauernd, zeitlose Zeit. Die Zeit als lastendes und Druck ausübendes Phänomen, nicht griffig und rund, sondern kantig, klotzig und hart - dies darzustellen soll die Zeitpyramide in Angriff nehmen. Sie soll aber auch Zeitbewußtsein schaffen: 1200 Jahre sind vergangen, seit Wemdings Name erstmals geschrieben wurde, 1200 weitere Jahre gilt es darzustellen: Legt man Steinwürfel zu 8 x 8, zu 6 x 6, zu 4 x 4 und zu 2 x 2 aufeinander, so erhält man 120 Würfel, und setzt man alle 10 Jahre einen Würfel, so ist die Pyramide in 1200 Jahren vollendet, ein Zeitraum, der sich unserem Begreifen entzieht, er liegt im Dunkel der Zukunft. Kennzeichen des Werkes ist seine Ausgesetztheit: dem Willen oder Unwillen, alle 10 Jahre einen Stein zu setzen, den Zeitläufen, den neugierigen, spöttischen oder nachdenklichen Blicken, den Naturgewalten.... So ist es eigentlich wohl auch ein Symbol für den Menschen, dem ja ähnliches widerfährt....
Hätten wir nicht die Hoffnung, daß wir alle Fährnisse überwinden können, die Hoffnung, daß es immer Menschen geben wird, welche Stein auf Stein fügen um die Idee der Zeitpyramide verwirklichen - wir stünden heute nicht hier. So sind diese Steinen, wie ich es sehe, nicht nur Symbol für Zeit, sondern auch, parallel mit der Entwicklung der Zeitpyramide, eine Art Symbol für die Hoffnung, unsere Zukunft positiv weiter entwickeln zu können. Der Dank gilt dem Künstler Manfred Laber für die Idee des Projektes, den Unterstützern dieser Idee, dem Architekten und der ausführenden Firma, den Sponsoren und der Stadt Wemding für die Bereitstellung des Grundstücks und die Übernahme der Trägerschaft.