Peter Funken
Manfred Labers Zeitpyramide
»die 3. Steinsetzung«
Jurahöhen nördlich von Wemding

MANFRED LABER, Modell der Wemdinger Zeitpyramide
Wemding, eine Stadt mit 10.000 Einwohnern, liegt am Rand des schwäbischen Ries einem vor
Millionen Jahren entstandenen Meteoritenkrater. Die Stadt feierte 1993 ihr 1200-jähriges Bestehen.
In Wemding gibt es zahlreiche historische Bauwerke unterschiedlicher Epochen von der Römerzeit
und Romanik bis zum Barock.
Am Stadtrand hat der 1932 in Wemding geborene, dort und in Alcanar/Spanien lebende Künstler Manfred Laber
1993 mit der Errichtung eines ungewöhnlichen Denkzeichens begonnen, dem eine zeitorientierte Konzeption
zugrunde liegt: Labers Denkmal soll aus 120 großen Blöcken entstehen und über die Jahrhunderte die Form
einer Pyramide annehmen. Das Besondere an seinem Konzept ist, dass die Pyramide erst im Jahr 3193, also
1200 Jahren nach Beginn der Aktion, fertiggestellt sein, denn nur alle zehn Jahre wird ein Stein zum nächsten
gefügt.
In Labers Idee kulminieren verschiedene Gedanken und Vorstellungen, die unsere kurzlebige, an Moden
orientierte Zeit konterkarieren und in Beziehung zum Zeitraum der Stadtgeschichte stellen. In historisch
gewachsenen Orten wie Wemding begegnet man archetektonischen Zeugnissen der Vergangenheit, die Geschichte
und die Veränderungen durch die Zeit ein Stück weit begreifbar machen. Schwer vorstellbar hingegen ist
eine zeitliche Progression in die Zukunft. Selbst ein Zukunftsplan von wenigen Jahren scheint heute
unmöglich und angesichts der Erfahrung rapider politischer Veränderungen anmaßend.
 1. Steinsetzung der Wemdinger Pyramide, Oktober 1993 (Foto: Manfred Laber)
Der Gedanke an ein Denkmal, das erst 3193 fertiggestellt wird, hat die Bürger der Stadt und ihre Verwaltung
demnach zuerst verunsichert. Es gelang Manfred Laber aber eine Änderung des öffentlichen Bewußtseins zu
bewirken, so dass das Projekt heute offiziell begrüßt und seit 2003 durch eine Stiftung unterstützt wird.
Ende Juni diesen Jahres fand die 3. Steinsetzung der Pyramide statt, die so der Künstler fast schon
etwas allzu Normales besessen habe: "Die Leute akzeptieren das Projekt mittlerweile, doch scheint es mir so,
als würde man sich mit dem radikalen Gedanken, der damit verbunden ist, kaum befassen."
Der Beginn der Arbeiten war kompliziert. Da das Projekt nur 1993 starten konnte der nächste sinnvolle
Baubeginn wäre erst 2443 gewesen! -, mußte Laber 1993 einen Baugrund erwerben und eine extrem haltbare
Betonbodenplatte im Maß von 13,8 x 13,8 m herstellen lassen. Beides gelang durch die Hilfe von Sponsoren.
Zu bedenken war zudem, ob alle 120 Steine für die Pyramide schon heute gegossen werden, oder ob man es
zukünftigen Generationen überlässt, andere Baustoffe zu verwenden, denn es steht in den Sternen, welches
Material man im Jahr 2500 favorisieren wird. Vielleicht wird man in 500 Jahren es wäre die Zeit des fünfzigsten
Steines überhaupt nicht mehr wissen, wovon die Wemdinger Pyramide handelt, oder eine solch vorwärts gerichtete
Handlung ist dann verboten und wird bestraft?"
Fragen ohne Antworten, und doch entsteht mit der Zeitpyramide bereits heute ein Bewusstsein für Zeitprobleme.
Mittlerweile sind drei Betonklötze auf die Platte gestellt, jeder im Maß von 1,2 x 1,2 x 1,8 m. Sie wirken
wie abstrakte, absichtsvoll in die Landschaft positionierte Skulpturen und füigen sich perfekt in sie ein.
 2. Steinsetzung, 2003 (Foto: Werner Waimann)
Warum erschrecken wir bei der Vorstellung, ein Monument für eine ferne Zukunft zu bauen - hatten doch auch die
ersten Generationen kaum eine Vorstellung von der Wirkung fertiger Kathedralen in Chartes oder Reims, und auch
Ägyptens Pyramiden wurden über sehr lange Zeiträume errichtet.
Vor allem die gewaltige Dimension von Zeit und ihr Unbegreifbares machen Manfred Labers Konzept und Projekt
bedeutungsvoll. Zwanzig Jahre nach Baubeginn erkennt der Künstler mehr noch als anfangs, mystische Eigenschaften
in dem Projekt, das er in der Gegend verwurzelt sieht über das aber auch TV-Sender in den USA berichteten.
Mit den Steinen, so Laber, wird eine Position, eine Haltung erkennbar, mit dem Gesamtkunstwerk der Pyramide eine
komplexe Zeitverortung, denn jeder gesetzte Stein beinhaltet die Zeitspanne einer durchlebten Dekade. Und so wird
man, sagt der Künstler, "je länger das Projekt dauert, immer mehr in die Geschichte hineinlaufen, es wird fast
unerträglich werden!" Solche Radikalität ist dem Werk Manfred Labers eigen.
Der an der Berliner Akademie von E. Schumacher ausgebildete Künstler gründete 1960 mit Bernd Koberling, K.H.
Hödicke und Josef Senf-Hohburg die Gruppe Vision. In einem Flugblatt schrieben sie:
Vision will die Neuschaffung eines Bildes aus Erlebniskraft und Geschautem." Es ging ihnen um die Neuerfindung
der Malerei gegen den Rationalismus der Nachkriegsjahre, um ein Anknüpfen an europäische und deutsche
Maltraditionen, bis hin zu einer gedanklichen Reise zum Isenheimer Altar. Später entwickelte Laber auf
seiner Finca in Spanien eine konkrete Kunst auch im Gedanken der landart. Er setzte großformatige, mit
leuchtenden Farben monochrom bemalte Metallplatten über Jahrzehnte der Natur aus. Auch bei diesen Arbeiten
wird Zeit und ihr Vergehen zum Thema; das Magische kam über die Langsamkeit und den Prozess der Verwitterung
mit ins Spiel. Für Laber sind Begriffe wie Passivität und Geschehen lassen von zentraler Bedeutung, auch bei
der Wemdinger Zeitpyramide spielen sie eine große Rolle. Bei der Pyramiden erkennt er nach 20jähriger Bauzeit
immer wieder neue Perspektiven und Aspekte, so etwa jene des Stils und damit der Frage, wie man in 1000 Jahren
mit einem abstrakten Konzept von 1993 umgehen wird.
Mit der Pyramide und ihrem annähernd unendlichen Werkprozess hat Manfred Laber ein Kunstwerk in Angriff genommen,
das einen von Bert Brecht formulierten Anspruch einlöst: "... die Kunst soll die Dinge weder als
selbstverständlich (gefühlsmäßig Anklang findend) noch als unbegreiflich darstellen, sondern als begreiflich,
aber nicht begriffen."
 Manfred Laber, vorne mit rotem Helm bei der 3. Steinsetzung am 29.6.2013 (Foto: Werner Waimann)
Author: Peter Funken, Berlin
Last revision: Fri, 27 Sep 2013
|