DIE WEMDINGER ZEITPYRAMIDE

Vortrag von Kerstin Specht anlässlich der 3. Steinsetzung
Vortrag von Kerstin Specht anlässlich der 3. Steinsetzung

Hier fallen Steine vom Himmel.
Mitnichten.
Ein Riesenkran ist der kontrollierte Ideenbeweger.
Was sich hier in die Landschaft eintätowiert, ist eine Idee.
Eine Idee aus Beton.
Beton als Erkenntnisprogramm.
Das Ries als Bühne.
Der Himmel liefert dazu zerfetzte Wolkenstores.

RAUM

Das Kunstwerk ist noch in seiner Adoleszenz.
Aber eines Tages, eines fernen Tages wird es eine Pyramide sein.
Die Pyramide ist die Verbindung zwischen Himmel und Erde.
Von den sieben Weltwundern der Antike ist nur noch eines erhalten, die Cheops-Pyramide.
Mit Teilen ihrer marmornen Aussenhaut hat man Kairo erbaut. Der sich darunter befindende freiliegende Kalkstein schrumpft über kurz oder lang, und, -so in einer Million Jahren, wird sich die Pyramide komplett aufgelöst haben.

MAXIMAL ART

Eine Kunst wie hier, die in solchen zeitlichen Größenordnungen denkt, ist nicht minimal art, sondern maximal art.
Und sie braucht auch einen maximalen Baustoff.
Beton verschimmelt nicht wie Brot. Aber ist Beton ewig haltbar? Angesichts der Häßlichkeit mancher Satellitenstädte will ich das nicht hoffen.
Erosion, Sporen, Schimmelpilze, auch Erdbeben, alles arbeitet daran, ihn kleinzukriegen, wenn es nicht der Mensch tut. Blow up, ein Begriff, den ich aus der Fotographie kenne, bedeutet das Aufblasen von Zelluloid. Aber er wird auch auf Beton angewandt.
In diesem Juni fuhr ein Mann mit seiner Harley auf der Autobahn, als sich die Fahrbahn plötzlich einen halben Meter vor ihm auftürmte. Die Hitze hat Betonplatten auf deutschen Autobahnen aufgebogen, die 80 Jahre lang intakt waren.

Dieser Bau braucht Dauerhaftes. Und das ist Beton.
Jetzt muß ich einen kleinen Exkurs einschieben, was ich über diesen alchimistischen Werkstoff gelesen habe.
An der TU München hat man UHPC entwickelt, einen ultrahochfesten Beton.
Man verzichtet dabei auf Kies und benutzt stattdessen Silicastaub, Quarzmehl und Stahlfasern, sodaß der Beton bis in den Nanometerbereich ohne Gaslöcher bleibt. Mit UHPC wurde gerade ein Museum in Marseille gebaut, er ist jedoch extrem teuer. Man kann aber auch normalen Beton mit Selbstheilungskräften versehen.
Man spickt ihn dazu mit Glaskapillaren, wie einen Braten mit Knoblauch.
Diese Glaskapillaren sind mit Harz gefüllt, und wenn der Beton birst und Risse bildet, dann versiegelt sie das austretende Harz wieder. Aber die Forschung geht noch weiter.
Man experimentiert mit Mikroorganismen, die bis zu 200 Jahre im Beton schlafen können. Dringt Wasser ein, werden sie geweckt und scheiden eine Art Kalk aus, der die Risse klebt.
Das ist nicht science fiction, sondern der jetzige Stand, zum Thema selbstreparierende Baustoffe, wer weiß was in 30 Jahren möglich ist, und was in 300?

ZEIT

Dieses Kunstwerk ist eine Uhr.
Alle zehn Jahre ein neuer Stein. 120 Steine. Über 1200 Jahre.
Der Ausblick auf die, jetzt noch virtuelle Pyramide, macht uns zu Zeitreisenden. Sie bringt uns Nachrichten aus einer unbekannten Welt.
Nachrichten aus einer wilden Welt, oder einer hypergeordneten?
Aristoteles und Newton glaubten an eine absolute Zeit, d.h. die Zeit bleibt bei ihnen immer gleich, wer immer sie misst. Vorausgesetzt, die Uhren gehen richtig.
Einstein hat die Entwicklung einer absoluten Zeit aufgehoben. Die Zeit existiert nicht mehr losgelöst vom Raum, sondern verbindet sich mit ihm zu einer Entität, der Raumzeit.
Der amerikanische Philosoph Jim Holt zitiert Wissenschaftler, die behaupten, daß die Zeit überhaupt nicht fließe, sondern statisch sei, 'wie ein gefrorener See.'
Alle Momente geschehen danach gleichzeitig, egal, ob sie in der Vergangenheit liegen oder in der Zukunft. Die Wissenschaft sagt, daß unsere Wahrnehmung von Zeit eine Illusion ist.

Trotzdem, unsere täglichen Erfahrungen sind anders. Wir altem. -Wir gewöhnen uns daran.
Wir nehmen es hin. Wir denken, ach im Inneren bin ich erst 20.
Aber, wenn wir nur alle 10 Wochen in den Spiegel sähen, wäre es ein Schock.
Wir würden unseren Verfall so deutlich erkennen, daß wir nicht mehr aus dem Haus gingen.

Dieses Kunstwerk ist eine Uhr.
Wenn wir heute abend alle weg sind, wird es ganz leise ticken. An diesem Ort werden wir an unsere Zukunft erinnert.
Welche Zeitwahrheit wird hier gespeichert?
Wieviel blaue Montage, schwarze Freitage, goldene Sommer, -oder wie viel ewige Wiederkehr erlebe ich noch?
Die Steine verziehen kein Gesicht.
"Das Firmament blaut ewig und die Erde wird lange fest stehen und aufblühen im Lenz -Du aber, Mensch, wie lange lebst denn du?" Gustav Mahler "Das Lied von der Erde".
Unser Ende ist uns sicher und absehbar, aber wie lange wird die Erde 'lange fest stehen'?
Wir selbst können den Planeten vergiften oder verstrahlen, die Sonne kann sich ausdehnen und die Erde verbrennen, der Weltraum kann sich ausdehnen und die Sonne zu weit von uns entfernen, und hier könnte ein Eisfjord entstehen.
Wie sah 1609 Henry Hudson die Insel Manhattan, als er an dem Wildwechsel von Pumas und Hirschkühen ankam, der heute Broadway heißt. Ist dieser Prozeß, der da stattgefunden hat, auch wieder rückgängig zu machen?
Vor ein paar Tagen stand in der Zeitung unter dem Titel "Vorbeiflug": "Großer Asteroid mit dem Namen 1998 QE2 hat die Erde passiert". Was wäre, wenn wieder einer der Erde passierte? Hier landete doch schon mal ein großer Sprengmeister.
Was ist, wenn das Ries Risse bekommt?
Risse im Ries
Trümmer
Todesgesang
Grab
Gegenwelt
Schwarze Bilder
Kann es sein, daß diese Gegend einst durch irgendein Ereignis entvölkert sein wird, kann es sein, daß an diesem Ort Pflanzen ihren Samen ausgeworfen haben, die wir noch gar nicht kennen? Rotgelacktes Gras, blaue Bäume, die die vielleicht vollendete Pyramide überwuchern, umschlingen? Kann es sein, daß dieses Bauwerk wiederentdeckt wird, wie Maya Pyramiden in einem Urwald?
Überhaupt erinnert diese Pyramide, wenn alle 120 Steine gesetzt sind, nicht an ägyptische, sondern an Maya Pyramiden, denen auch, wie hier, die Spitze fehlt, und die stattdessen eine obere Plattform haben, für Opferrituale.
Könnte es sein, daß dann die Zukunftsmenschen sich fragen, welches kosmologische Bild die Masse 1,2 x 1,2 x 1,8m wiederspiegeln?
Werden die sich fragen, welchem Kult haben die hier gedient?
Deshalb: erfinden Sie einen KULT. Jeder für sich, jetzt sofort und lassen Sie ihn uns feiern!!
Umarmen Sie sich, küssen Sie sich, aber essen Sie bitte keine Hähnchen, sonst verdächtigen uns zukünftige Archäologen der Tieropfer und der Hähnchenverehrung. (Die Wirklichkeit ist schlimmer, wir opfern Tiere, aber wir verehren sie nicht mehr.)
Es gibt nicht wenige Menschen, die über eine posthumane Zukunft nachdenken, und dagegen setzt dieses Werk seine utopische, grenzensprengende Kraft. In dem Strudel der Entropiemöglichkeiten behauptet es sich.
Diese Kunst in ihrer Totalhaftigkeit, ist ein Zeichen, daß wir bleiben wollen, und, daß wir auch etwas dafür tun.
Dafür danke ich Manfred Laber, der die Größe hat, so groß zu denken und diese Gedanken auch Realität werden läßt.
Der in der Welt unterwegs war und ist, (Berlin, Barcelona, Bayern) aber auch (um Achternbusch zu zitieren), so lange in seiner Heimat geblieben ist, bis man ihr das, im wahrsten Sinne des Wortes, ansieht.

ZUM RAUM WIRD HIER DIE ZEIT

und wir, wie kleine Parzivals können dabei sein und Fragen, Fragen des Mitleids an uns und an die Welt stellen.
Vielen Dank.

Author: Kerstin Specht, München
Last revision: Fri, 27 Sep 2013